Neues Projekt 2

Direkt zum Seiteninhalt

Hauptmenü

Über den Wolken

Textauszüge > Band 2

Das Gesicht von Liebe und Tod
Thiwelfaria Band II

Über den Wolken

Lilly brachte sich und Kruck weit in den Himmel hinauf, so wie der Bugol es ihr aufgetragen hatte. Sie kamen zwar nicht so schnell voran wie mit einem Regenbogen, aber es war ausreichend und Kruck konnte Kraft sparen.
Über den Wolken angekommen – die um vieles höher reichten, als Lilly es vermutet hätte, musste sie sich verwandeln, da ihr kein Regen mehr zur Verfügung stand. Sie wurde zu einem großen Adler und trug Kruck nach anfänglichen Orientierungsschwierigkeiten auf ihrem Rücken.
„Wie weit ist es noch?“, fragte Lilly und wunderte sich, dass ihr das Atmen in derartigen Höhen keine Probleme bereitete. Im selben Moment jedoch dachte sie daran, dass in Thiwelfaria vieles anders war, als in ihrer Welt. Und da es Himmelsreiche gab, in denen Geschöpfe lebten, die atmeten wie sie, war es eigentlich gar nicht so verwunderlich.
Kruck keuchte. „Ein Stückchen noch. Flieg einfach weiter geradeaus nach oben. Du kannst den Schild nicht übersehen.“
Lilly tat wie ihr geheißen und flog weiter, bis sie vor sich etwas flimmern sah. Auf Krucks Befehl hin, hielt sie an.
„Da ist er“, sagte der Bugol heiser, „das ist der Schutzschild. Dahinter befindet sich der Orchnatkanal, dessen Strömung mich nach Kliasum bringen wird. Du kannst anhalten, von hier an reise ich allein weiter.“
„Ist gut.“
Lilly war ganz fasziniert von dem Anblick. Die Oberfläche des Schildes sah aus wie die Haut einer Seifenblase und reflektierte auf gleiche Weise das Licht. Er umhüllte den Himmel, diente als Schutz vor Feinden und wirkte trotz allem unglaublich zerbrechlich. Unmittelbar dahinter konnte man den Orchnatkanal sehen. Der Lufttunnel war deutlich zu erkennen, da sich das Sonnenlicht in verschiedenen Farben an seiner Hülle brach.
Zu ihrem Glück kreuzte kaum ein Bugol ihren Weg. Die wenigen, die an ihnen vorbeizogen, hatten keine Zeit, um ihnen groß Beachtung zu schenken.
„Ich danke dir“, krächzte Kruck, öffnete seine Umhängetasche und holte den Regenbogen heraus. Wie eine Rampe breitete er sich vor ihnen aus und wartete darauf, dass Kruck ihn betrat.
„Kehr zurück zu deiner Schwester. Ich … ich verspreche dir, ich bin gleich wieder bei euch.“
Lilly nickte. „Wir werden auf dich warten.“
Kruck rollte sich von ihrem Rücken und landete auf dem Regenbogen, der sich umgehend mit ihm in Bewegung setzte. Blitzschnell war er bei dem Schutzschild angelangt. Als der Regenbogen damit in Berührung kam, tat sich ein Loch auf und der Bugol verschwand dahinter. Dabei entstand ein Sog, der Lilly langsam an den Schild heranzog. Mit aller Kraft hielt sie dagegen und war trotz der Anstrengung dem Schild am Ende so nahe, dass sie weit über sich die Umrisse einer Stadt erkennen konnte.
Die Gebäude, darunter ein Schloss, standen von Lilly aus gesehen verkehrt herum. Und anstatt in allen Farben zu leuchten, wie man es vermutet hätte, wenn man an die Regenbögen und die bunt gekleideten Bugols dachte, waren deren Außenwände dunkel, ja beinahe schwarz.
Lilly hätte gerne noch einen genaueren Blick darauf geworfen, war andererseits jedoch erleichtert, als sie es endlich schaffte etwas Abstand zu dem Schild zu gewinnen. Sie sah, wie Kruck geradewegs in den Luftkanal flog und Zack, von einer Sekunde auf die andere aus ihrem Blickfeld verschwand.
„Alles Gute, Kruck“, flüsterte Lilly und machte sich auf den Weg, zurück zu Laura.

Diese wartete schon ungeduldig auf die Rückkehr ihrer Schwester. Als Lilly nach einer gefühlten Ewigkeit, neben ihr auftauchte, fiel Laura ihr erleichtert um den Hals.
„Habt ihr es geschafft?“, fragte sie besorgt, während sie ihrer Schwester ihren Umhang reichte.
Lilly nahm ihn dankbar entgegen und wickelte sich darin ein. „Ja, ich denke schon. Kruck meinte, er würde bald wieder bei uns sein. Er möchte seine Mission unbedingt beenden.“
Laura ließ von ihrer Schwester ab. „Okay, da es immer noch der einfachste und schnellste Weg zurück nach Amuna ist, warten wir“, sie richtete ihren Blick nach oben, „allerdings nur bis es dämmert.“
Lilly sah Laura entsetzt an. „Nur bis es dämmert? Aber dann hat er nicht mal mehr eine Stunde.“
„Wenn er es bis dahin nicht geschafft hat, müssen wir vom Schlimmsten ausgehen, Lilly, so schwer es auch ist. Die Phönixe haben zugesagt, uns zu begleiten, um uns vor erneuten Korenangriffen zu schützen, sollte Kruck nicht mehr wiederkommen. Wir werden mit ihnen zwar nicht so schnell vorankommen, wie mit deiner Gabe, aber wir laufen wenigstens nicht Gefahr, uns zu verirren. Da die Reise trotz Luftweg ungefähr drei Tage dauern wird, dürfen wir keine Zeit vertrödeln, das verstehst du doch.“
Lilly seufzte. „Natürlich verstehe ich das, es ist nur …“
Laura nahm ihre Schwester am Kinn und schenkte ihr ein Lächeln. „Du magst ihn sehr gern, nicht wahr?“
„Ja, das tue ich“, Lilly schnitt eine Grimasse, „wobei ich absolut nicht weiß, wieso. Mir ist noch nie ein so unfreundlicher Griesgram begegnet.“
Laura lachte. „Ja, er ist schon eine Rarität.“ Etwas ernster fuhr sie fort: „Aber allem voran, ist er zäh. Er wird es schaffen, da bin ich mir ganz sicher.“
Lilly sah zu den Wolken hinauf. „Wie sehr ich mir wünsche, dass du recht hast.“
„Komm mit“, Laura legte ihrer Schwester einen Arm um die Schulter, „Clay weiß das eine oder andere über die Himmelsreiche zu berichten, das wird dich bestimmt interessieren.“
Nachdem die Schwestern sich zwischen den Phönixen niedergelassen hatten, begann Clay zu erzählen: „Es heißt, die Himmelsreiche existierten schon lange vor Thiwelfaria.
Im Gegensatz zu unserer Welt, die sich den Sternen zuwendet, kehren die Himmelsreiche ihnen den Rücken. Und da die vier Reiche ihre eigene Schwerkraft besitzen, sieht es für uns so aus, als würde alles, was sich innerhalb ihrer Grenzen befindet, auf dem Kopf stehen. Himmelswesen werden ausschließlich von der Schwerkraft ihrer Reichskerne angezogen, wohingegen wir Erdgeschöpfe aufgrund der Erdanziehungskraft, an die wir gebunden sind, bei ihnen buchstäblich durch die Decke fallen würden. Umgekehrt wäre es mit den Himmelsbewohnern bei uns. Nur Bugols bilden eine Ausnahme, wobei ich nicht weiß warum. Darüber gibt es keine Erzählungen.“
„Ich habe eine schwarze Stadt gesehen“, warf Lilly ein, als Clay verstummte.
Der Phönix nickte. „Du hast eine der vier Hautstädte gesehen. Kliasum, wenn ich mich nicht irre. Die Heimatstadt der Bugols. Ich habe gehört, dass die Stadt sehr prunkvoll sein soll und imposant aufgrund der hohen Bauwerke mit ihren glatten, dunklen Mauern.
Eines dieser Bauwerke, das Herzstück, ist ein großes schwarzes Schloss. Als Kontrast dazu säumen Bäume mit pastellfarbenen Blüten die Straßen, so heißt es, wobei einer von ihnen, der größte von allen, in der Mitte des Schlosshofes steht. Der Lebensbaum der Bugols, von dem Kruck gesprochen hat.“
Laura runzelte die Stirn. „Eines verstehe ich nicht. Die Himmelsreiche befinden sich so weit oben und sind gut geschützt, warum also riskieren die Bugols für uns hier unten ihr Leben? Was kümmert es sie, was mit uns geschieht?“
„Wir machen das nicht freiwillig, das könnt ihr mir glauben“, ertönte eine mürrische Stimme.
„Kruck!“ Lilly sprang auf, hastete auf den Bugol zu und hob ihn kurzerhand von den Füßen. Kruck wehrte sich so gut es ging gegen ihre stürmische Umarmung.
„Was soll denn das? Lass mich wieder runter!“, fauchte er, doch Lilly war zu erleichtert, um ihn gleich wieder loszulassen.
„Du hast es also wirklich geschafft“, sagte Laura ebenfalls erfreut ihn gesund wiederzusehen.
„Ja, gerade noch so“, knurrte Kruck nachdem Lilly ihn abgesetzt hatte.
„Es hat etwas gedauert, da mich die Heilerinnen nicht gehen lassen wollten. Ungute Weibsbilder. Die haben ihre Augen überall. Mich davonzustehlen war alles andere als einfach.“
Lilly machte ein besorgtes Gesicht. „Du bekommst doch hoffentlich keinen Ärger.“
„Das bleibt abzuwarten, wobei keine von ihnen auch nur annähernd so schlimm ist wie ihr, von dem her werde ich es wohl überleben.“
„Wieder ganz der Alte“, murrte Laura.
Clay baute sich vor dem Bugol auf und musterte ihn eingehend. „Was meintest du, als du sagtest, ihr macht das nicht freiwillig.“
Kruck warf dem Phönix einen abschätzenden Blick zu, begann jedoch gegen alle Erwartungen, zu erzählen: „Unsere Heimat war nicht immer so gut geschützt wie jetzt. Stellaris Wächter waren es, die den Schutzschild um unser Reich errichteten, nachdem eine große Schar Koren beinahe unsere Hauptstadt zerstört hätte.
Die Wächter sorgten dafür, dass nur noch wir Bugols den Schild durchqueren konnten und zwar aus einem ganz bestimmten Grund. Wir sind nicht an die Schwerkraft gebunden, weder an unsere, noch an eure, weshalb wir uns auch in Thiwelfaria ohne Probleme fortbewegen können. Es gibt nur eine Spezies, die ebenfalls dazu in der Lage ist.
Koren. Aus diesem Grund war es ihnen auch möglich unserem Reich so viel Schaden zuzufügen.“
„Wie auch immer“, fuhr Kruck nach einer kurzen Pause fort, „für unsere Sicherheit, mussten wir schwören, den Erdgeschöpfen in Zeiten des Krieges zu helfen. Sollten wir es wagen, den Schwur zu brechen, würde der Schild automatisch zerstört, weshalb wir den Koren wieder schutzlos ausgeliefert wären. Ihr seht also, wir haben keine andere Wahl, als für euch Nachrichten quer durchs Land zu tragen und dabei täglich unser Leben zu riskieren.“
„Ich verstehe deinen Groll“, sagte Clay, als Kruck fertig war.
„Wenn man daran denkt, wie viele von euch schon ihr Leben lassen mussten, in einem Krieg, der nicht der eure ist. Allerdings scheint mir die Vereinbarung doch mehr als fair. Ohne die Hilfe der Wächter, gäbe es eure Heimat nicht mehr. Wäre euch das denn lieber?“
Der Bugol malmte mit den Zähnen. „Natürlich nicht! Dennoch muss es uns nicht gefallen!“
„Nein, das muss es wahrlich nicht“, pflichtete Clay ihm bei.
„Es wäre euch bestimmt leichter gefallen, euer Schicksal zu ertragen, hätten wir uns dankbarer gezeigt. Ich fürchte euer Opfer ist für uns zu selbstverständlich geworden. Das wird sich von nun an ändern, dafür werde ich sorgen.“
Kruck schnaubte. „Das wäre ein Anfang, in der Tat. Allerdings bezweifle ich, dass sich diesbezüglich je etwas ändern wird.“
„Warum?“, fragte Lilly vorsichtig.
Der Bugol funkelte sie zornig an. „Weil ihr Erdgeschöpfe nun mal so seid wie ihr seid! Ihr könnt nicht aus eurer Haut! Ihr seid egoistisch, rücksichtslos und undankbar. Ihr stellt immer nur Forderungen, seid jedoch nicht bereit etwas dafür zu tun. Ich erlebe das jeden Tag und genau aus diesem Grund Gnädigste, zweifle ich, denn“, Kruck lächelte freudlos, „niemand ändert sich so sehr!“
„Das ist wirklich bedauerlich“, sagte Laura trocken, „aber ich verstehe dich.“
Der Bugol zog eine Augenbraue in die Höhe. „Ach, tust du das?“
„Ja, das tue ich.“ Laura trat an Kruck heran und ging vor ihm in die Hocke.
„Warum sich genauer mit jemandem auseinandersetzen, wenn es so viel leichter ist, alle über einen Kamm zu scheren, um sie dann gleichermaßen für das verantwortlich zu machen, was einem widerfahren ist?“
Sie neigte leicht den Kopf und betrachtete eingehend Krucks Gesicht. „Es gibt einem das Gefühl im Recht zu sein, nicht wahr? Was immer man auch tut, man bleibt dennoch das Opfer. Nach dem heutigen Tag hatte ich gehofft, dass es zumindest einen Bugol geben würde, der bereit wäre, diese Einstellung zu ändern. Doch wie es scheint, habe ich mich geirrt. Und das ist, wie ich schon sagte … sehr bedauerlich.“
Laura erhob sich, ohne Kruck aus den Augen zu lassen. „Wir haben wegen dir schon genug Zeit verschwendet. Bring uns nach Hause. Wenn wir sicher dort angekommen, sind kannst du gehen. Ich werde dafür sorgen, dass Henry dich freistellt. Kehre in dein Reich zurück und tu, was immer dich glücklich macht.“ Ohne ein weiteres Wort wandte sich Laura ab und begann ein Gespräch mit Clay.
Nach einem kurzen Moment des Zögerns, ließ Lilly sich neben Kruck nieder.
„Es tut mir leid“, sagte sie leise, „Laura kann manchmal ziemlich gemein werden, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlt.
Der Bugol drehte sich weg. „Nein, mir tut es leid. Deine Schwester hat recht, mit allem was sie gesagt hat. Ich habe nie den Versuch unternommen mich mit eurer Welt auseinanderzusetzen. Ich habe den Groll meines Volkes als meinen eigenen angenommen, ohne ihn infrage zu stellen. Ich tat dasselbe wie alle anderen, weil es so am bequemsten war. Auf diese Art ließ es sich gut leben.“
Kruck wandte sich ihr wieder zu. „Bis heute. Obwohl sich mein Innerstes immer noch dagegen wehrt, beginne ich die Ansichten meines Volkes anzuzweifeln.“
Als er Lillys Schmunzeln sah, verdrehte Kruck die Augen.
„Glaub mir, ich bin nicht froh über meinen inneren Tumult. Aber“, fuhr er fort, „trotz dieses unangenehmen Zustandes, muss ich zugeben, dass ich mich schon lange nicht mehr so wohl gefühlt habe … und das verdanke ich dir.“
Lilly sah mit einem mal vollkommen verdutzt aus, was Kruck ein Lächeln entlockte.
„Mir ist noch nie eine reinere Seele begegnet. Und obwohl deine unnatürlich ausgeprägte Fröhlichkeit meine Nerven bis aufs äußerste strapaziert, weiß ich, dass mir etwas fehlen würde, wenn wir uns nicht begegnet wären.“
Als er nach einem kurzen Moment des Schweigens sah, wie Lillys Augen feucht wurden, streckte Kruck abwehrend die Hände aus. „Wehe, du umarmst mich wieder.“
Lilly lachte. „Keine Angst, das werde ich nicht.“
„Wie es scheint bist du doch kein hoffnungsloser Fall, Kruck“, sagte Laura amüsiert und legte ihrer Schwester eine Hand auf die Schulter.
„Kommt jetzt. Clay und seine Schar werden sich um die Koren kümmern, sollten sich noch welche hier herumtreiben.“
Wie auf Kommando streckten die Phönixe ihre Flügel aus und erhoben sich in die Lüfte. Während des Fluges begannen sie sich, nach und nach in Asche aufzulösen. Laura sah ihnen wehmütig hinterher.
„Auf Wiedersehen, Clay“, sagte sie leise und hörte die Stimme des Phönix in ihrem Kopf.
„Auf Wiedersehen, Freya. Passt auf euch auf.“
„Nun denn“, sagte Kruck, nachdem die Asche gänzlich aus ihrem Blickfeld verschwunden war, „ab nach Hause.“


Suchen
Zurück zum Seiteninhalt | Zurück zum Hauptmenü