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Die Stellarie

Textauszüge > Band 2

Das Gesicht von Liebe und Tod
Thiwelfaria Band II

Die Stellarie


Der Winter beherrschte den nördlichen Wald. Die Stellarie liebten die Kälte, das Eis, den Schnee. Nur dort fühlten sie sich zu Hause. Einst war die Vastasteppe auch von Schnee und Eis bedeckt gewesen. Damals hatte man das Land Perlvenia genannt. Die kühle Schönheit. Nirgendwo strahlte das Licht der Sonne heller. Nirgendwo war die Luft reiner.
So hatte man das Land beschrieben. Doch nun nicht mehr. Heißer Sand überzog die Ebenen. Die Luft war reines Gift. Nichts war mehr übrig von der einstigen Schönheit. Das Land war hässlich geworden, wie die Kreatur, die es sein Eigen nannte.
Henry hatte sich schon früh auf den Weg gemacht. Als Laura wach wurde, war er bereits weg. Etwas schwerfällig stieg sie aus dem Bett und begann sich fertig zu machen. Sie zog sich warm an, und packte noch mindestens drei Schichten Kleidung in ihren Beutel. Laura mochte die Kälte nicht. Und seit sie Memorias Hüterin war, sogar noch weniger als vorher. In ihrem Kopf ging sie erneut alles durch, um sicher zu sein, dass sie nichts vergessen hatte, und machte sich schließlich auf den Weg zu ihrer Schwester. Memoria lief dabei in Gestalt eines Feuerwolfes neben ihr her. Er begann augenblicklich zu knurren, als er die Wasserstrahlen sah, die sich in Lillys Zimmer hin und her schlängelten.
„Was machst du denn da?“
Lilly fuhr erschrocken herum. Im selben Moment fielen die Wasserstrahlen in sich zusammen und landeten mit einem lauten Platschen auf dem Boden.
„Oh Mist“, sagte sie mürrisch, „Merla wird mich umbringen.“ Sie ließ die Pfützen wieder zurück ins Waschbecken gleiten, wobei die Möbel, die sich bereits mit Wasser vollgesogen hatten, wohl oder übel so bleiben mussten.
„Ach was“, Laura schmunzelte, „das trocknet bevor sie es mitkriegt. Warum musst du auch immerzu mit deinen Fähigkeiten herumspielen?“
„Ganz einfach“, Lilly schnappte ihren Beutel und trat auf den Flur hinaus, „weil es unglaublich cool ist.“
Laura verdrehte die Augen. „Komm, die anderen warten bestimmt schon auf uns.“
„Wartet!“
Die beiden Schwestern drehten sich um und sahen Nell und Alin auf sich zukommen. Sie hatten beide einen kleinen Beutel umgehängt und waren vom Blütenkopf bis zu den Wurzelfüßen in warme Kleidung eingewickelt.
Laura hob eine Augenbraue. „Was soll denn das werden?“
„Na, wir kommen mit ist doch klar. Versucht ja nicht uns daran zu hindern.“ Mit diesen Worten zogen die zwei Glimmis an ihnen vorbei und hielten auf den Ausgang zu.
„Tja“, meinte Lilly schmunzelnd, „wer kann da schon Nein sagen?“
Laura schüttelte den Kopf. „Sie sollten nicht mitkommen. Es könnte gefährlich werden.“
„Ach bitte, Schwesterherz, sie sind alt genug. Sie können auf sich selbst aufpassen.“
„Eben nicht! Du kennst sie nicht so gut wie …“
„Scht!“, fiel Lilly ihr ins Wort, „hör auf rumzumeckern und komm. Du sagtest doch, wir seien spät dran.“
Verdutzt blickte Laura ihrer Schwester hinterher und folgte ihr schließlich leise vor sich hin schimpfend. Ihre Freunde warteten bereits auf dem nördlichen Plateau. Tom war auch da, jedoch nur, um sich zu verabschieden. Er hatte Seivoss zugesagt, ihn bei der Suche nach Selana zu unterstützen.
Es dauerte nicht lange, und man hörte den leisen Motor des riesigen Pusteblumensamens, der sie zum Nordwald bringen würde. Marion brachte das große Ding vor ihnen zum Stehen und öffnete die Rampe, über die man in die Gondel gelangte. Laura seufzte schwer und fügte sich ihrem Schicksal. Ob es ihr gefiel oder nicht, es war die schnellste und unkomplizierteste Art zu reisen. Sie umarmte ihren Vater zum Abschied und betrat den fliegenden Albtraum.
Lilly setzte sich neben ihre Schwester und legte einen Arm um sie. „Keine Bange. Sollten wir abstürzen, löse ich uns einfach in Wasser auf.“
„Das soll mich jetzt beruhigen oder wie?“, meinte Laura gepresst, als sie abhoben. Die Glimmis stellten sich auf ihre Stühle, um aus den Fenstern sehen zu können.
„Oh, ist das aufregend!“ Beide sahen aus wie kleine Kinder am Weihnachtsabend.
Laura schloss die Augen und versuchte an etwas Erfreuliches zu denken. Das gleichmäßige Summen des Motors hatte zur Folge, dass sie irgendwann einschlief, und somit die ganze Fahrt verpasste. Kurz bevor sie ankamen, weckte Lilly ihre Schwester, indem sie ihr die Nase zuhielt.
Laura richtete sich ruckartig auf. „Was ist los? Sind wir schon da?“
Sie blinzelte benommen und sah die Belustigung in den Gesichtern ihrer Freunde. Wie in Zeitlupe drehte sie sich zu ihrer Schwester um. „War das wirklich nötig?“
„Ja, war es.“ Lilly grinste breit und deutete aus dem Fenster. „Sieh nur.“
Von außerhalb drang grelles, bläuliches Licht in die Gondel, weshalb Laura einige Mühe hatte etwas zu erkennen. Feine Eiskristalle hatten sich auf den Fensterscheiben gebildet, was die Sache nicht gerade einfacher machte.
Laura richtete sich auf, kniff die Augen zusammen und betrachtete die Landschaft, die sich unter ihnen erstreckte. „Wow.“
Durch einen Schleier aus glitzerndem Schneestaub hindurch, konnte sie große Nadelbäume sehen, die in einen dicken, weißen Mantel gehüllt waren. Wie viele Pflanzen in Thiwelfaria, waren auch diese Bäume ungewöhnlich hoch. Das Sonnenlicht wurde von Schnee und Eis bläulich reflektiert, was den kühlen aber schönen Eindruck, noch verstärkte. Trotz der beeindruckenden Aussicht, fühlte sich Laura etwas unwohl.
„Mir wird jetzt schon ganz kalt, wenn ich daran denke, dass wir da raus müssen.“ Wehmütig warf Laura einen Blick zurück. In der Ferne konnte man die Umrisse der goldenen Stadt erkennen und das warme Licht, das sie umgab.
„Du trägst mindestens zehn Schichten Kleidung.“ Chris betrachtete Laura mit hochgezogenen Augenbrauen. „Dass dir kalt wird, ist eher unwahrscheinlich.“
Er sah betrübt an sich hinunter, und dann aus dem Fenster. Das eine oder andere Kleidungsstück mehr, hätte ihm bestimmt auch nicht geschadet.
„Ich hab dir doch gesagt du sollst mehr anziehen. Aber du wolltest ja wieder einmal nicht auf mich hören, Sturkopf.“ Raoul lächelte schadenfroh und erntete dafür einen bitterbösen Blick.
„Du wärst die perfekte Mutter. Eine hässliche zwar, aber immerhin.“
„Hört auf ihr zwei.“ Laura schüttelte den Kopf. „Ihr benehmt euch wie ein altes Ehepaar.“
Sie warf Henry einen amüsierten Blick zu. Der verdrehte die Augen und erhob sich. „Wir sind da.“
Die Gondel ruckelte ganz ordentlich, als Marion versuchte, auf dem Boden aufzusetzen. Mit den Landungen hatte der kleine Tepi schon immer seine Probleme gehabt, doch diesmal war es ganz besonders übel. Seine Passagiere wurden ordentlich durcheinandergeschüttelt, bis das Vehikel schließlich unversehrt zum Stehen kam.
Lilly streckte erleichtert die Hände in die Höhe. „Wir leben noch!“
„Ja, gerade noch so“, hörte man Nell´s gedämpfte Stimme. Sie und Alin hatten es, so leicht wie sie waren, schwer gehabt, die Balance zu halten und so endete ihre Reise unter den Bänken, bedeckt von unzähligen Proviantsäcken.
Alin schnaubte bei dem Versuch sich rauszuwinden. „Es wäre nett, wenn uns jemand helfen könnte, sofern es nicht allzu viele Umstände macht!“ Mit jedem Wort klang sie hysterischer.
Laura seufzte und wandte sich an Lilly. „Hab ich´s dir nicht gesagt. Ausgesprochen blöde Idee.“
Lilly grinste über beide Ohren. „Ach was. So wird uns zumindest nicht langweilig.“
Raoul half den zwei Glimmidamen sich aufzurichten und verteilte anschließend die Proviantbeutel. Einer nach dem anderen traten sie ins Freie und betrachteten staunend die Landschaft. Sie war von oben schon schön gewesen, doch aus unmittelbarer Nähe, wirkte alles noch viel eindrucksvoller. Bei dem Anblick war sogar die kalte Luft einigermaßen gut zu ertragen.
Wo man auch hinsah, glitzerte es. Kleine Eistropfen hingen an Fäden von den Ästen der umstehenden Bäume, und bewegten sich sanft im Wind. Im Sonnenlicht funkelten sie wie tausend Diamanten. Immer wenn sie sich berührten, konnte man ein angenehmes, leises Klirren hören. Feiner Schneestaub löste sich von den Bäumen und wurde wild umher gewirbelt. Wo man auch hinsah, alles war weiß.
Sie würden durch knietiefen Schnee waten müssen. Bei dem Gedanken wurde Chris abermals mulmig. Er war sich nicht sicher, ob seine Stiefel das aushalten würden. Hätte er doch bloß auf Raoul gehört.
Henry verabschiedete sich von Marion, bevor der sich in die Lüfte erhob und sein Gefährt Richtung Amuna steuerte.
„Er wird uns heute Abend wieder hier abholen“, erklärte Henry und marschierte los, „wir sollten uns also beeilen.“

Das Vorankommen stellte sich, wie erwartet, als äußerst schwierig heraus. Sie waren langsam und schwitzen trotz der Kälte, weil es sehr anstrengend war, durch den tiefen Schnee zu stapfen.
Nell war so klein, dass sie immer wieder bis über beide Ohren im Schnee versank, weshalb Henry sie irgendwann schnappte und auf seiner Schulter absetzte. Mit einem breiten Grinsen sah die Glimmidame auf ihre Freundin hinunter. Alin war groß genug, um ohne Probleme selbst zu laufen, was ihr deutlich missfiel. Henry führte seine Gefährten an Bäumen und Felsen vorbei, die auf den ersten Blick allesamt gleich aussahen, wirkte dabei jedoch sicher und zielorientiert.
„Woher weißt du eigentlich so genau, wo wir hinmüssen?“, wollte Laura von ihm wissen.
Henry sah sich um. „Ich war schon mehrere Male hier, vor Jahren“, er senkte den Blick und zögerte bevor er fortfuhr, „mit einem guten Freund.“
„Kenne ich ihn?“, fragte sie vorsichtig nach.
„Das war bestimmt Calvin, oder?“, warf Nell munter ein. „Wo ist er eigentlich? Ich würde ihn nur zu gerne mal wiedersehen. “
Laura bemerkte, wie Henry sich versteifte. Sie musterte ihn besorgt. „Du hast mir noch nie von ihm erzählt.“
Nell sah auf Laura hinab, als hätte sie nicht alle Tassen im Schrank. „Aber du kennst … waaa!“
Sie wurde von Lilly am Kragen gepackt und auf Raouls Schulter platziert. „Hier übernimm du sie mal, für eine Weile.“
„Was soll denn das?“ Die Glimmidame war verständlicherweise irritiert.
Lilly schenkte ihrer Schwester, die ebenfalls verwirrt aussah, ein breites Lächeln. Sie versuchte die Lippen nicht zu bewegen, während sie Nell zuflüsterte: „Lass es gut sein. Ich erkläre es dir später.“
Laura runzelte die Stirn und wandte sich wieder an Henry. „Ist denn etwas zwischen euch vorgefallen? Der Gedanke an ihn, scheint dir Sorgen zu bereiten.“
Henry versuchte so unbekümmert wie möglich zu klingen. „Nein. Ich habe ihn nur schon lange nicht mehr gesehen.“
„Das ist sehr schade.“ Laura blickte nachdenklich nach vorne.
„Vermisst du ihn?“, wollte sie schließlich von ihm wissen.
Henry atmete tief durch und nickte. „Ja. Jeden Tag.“
„Weißt du denn, wo er sich …“
„Laura, hör auf!“, unterbrach er sie barsch. Als er sich seiner Reaktion bewusst wurde, betrachtete er sie voller Bedauern. „Es tut mir leid, ich wollte nicht …“
„Nein, ist schon gut. Wenn du nicht darüber sprechen willst, akzeptiere ich das natürlich.“ Laura versuchte sich nichts anmerken zu lassen, aber es war unschwer zu erkennen, dass er sie mit seinem Verhalten verletzt hatte.
Henry wandte sich ab. „Kommt jetzt, wir sind bald da.“
Er führte sie an großen Eiskristallen vorbei, die überall aus dem Boden wuchsen, bis hin zu einem kleinen gefrorenen Fluss. Die Gefährten folgten dessen Verlauf und gelangten zu einer Felswand mit einem Wasserfall, der ebenfalls gefroren war. Das Eis, das den Fluss bedeckte, war so dick, dass sie ohne Probleme darauf laufen konnten. Zwar nicht allzu schnell, aufgrund der hohen Rutschgefahr, aber am Ende kam jeder unversehrt am Wasserfall an.
Fasziniert bewunderten die Freunde die eisige Wand, die sich aus dem herabfließenden Wasser gebildet hatte.
„Was jetzt?“, wollte Chris von Henry wissen, da der weitere Weg nicht auf den ersten Blick zu erkennen war.
„Es gibt einen Tunnel, gleich hinter dem Wasserfall. Wir haben diesen Tunnel zwar nie betreten, aber der Palast der Stellarie soll sich laut den Aufzeichnungen direkt dahinter befinden.“
Lilly hielt ihr Gesicht ganz nahe an einen der herabhängenden Eiszapfen. „Seht nur, da sind kleine Fische drin.“
Tatsächlich war das Wasser in der Mitte nicht völlig zugefroren, und somit tummelte sich darin allerlei Getier, dem die Kälte offensichtlich nichts anhaben konnte. Unter anderem winzige bunte Fische und Krebse. Sie hätten eigentlich fehl am Platz wirken müssen, passten jedoch wunderbar zum Gesamtbild.
„Oh, wie schön.“ Alin berührte vorsichtig das Eis, woraufhin die Fische erschrocken nach oben schwammen.
„Lasst uns weitergehen, ich frier mir gleich einen ab.“
Bevor Raoul etwas sagen konnte, hob Chris warnend den Zeigefinger.
„Nun gut, Lilly. Du bist dran.“
Lilly sah Henry verdutzt an. „Was meinst du?
„Na, du musst für uns den Weg frei machen. Oder wie sollen wir deiner Meinung nach, auf die andere Seite des Wasserfalls gelangen?“
Tatsächlich gab es keine Möglichkeit, an den dichten Eissäulen vorbeizukommen.
„Aber es ist gefroren, ich weiß nicht, ob das funktioniert.“
„Dann lass es uns rausfinden.“
„Okay, ich versuch´s.“ Alles andere ausblendend konzentrierte sich Lilly auf das Eis, und siehe da, es verflüssigte sich. Wie ein Vorhang teilte sich das Wasser in zwei Hälften. Lilly ließ die dabei entstandenen Wasserstrahlen über den Köpfen ihrer Gefährten große Kreise ziehen und achtete darauf, dass keine Fische verloren gingen. „So, rein mit euch.“
Laura gab Alin einen Schups, die das Spektakel mit offenem Mund verfolgt hatte, und keine Anstalten machte loszugehen.
„Ganz ehrlich Laura, Lillys Fähigkeiten sind viel cooler als deine.“
Laura verdrehte die Augen. „Ja, schon klar. Aber weißt du was?“
„Was denn?“
„Memoria sorgt dafür, dass mir nicht kalt wird. Wenn du wüsstest, wie angenehm warm es unter meiner Jacke ist. Einfach herrlich.“
Alin gab einen empörten Laut von sich. „Wie gemein.“
„Und egoistisch“, murrte Chris.
„Was denn? Ich bin kein Sockenwärmer.“
Laura verzog ihre Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln. „Ich könnte deine Füße in Flammen aufgehen lassen, wenn du möchtest, aber das war´s dann auch schon. Hättest du dich wärmer angezogen, wie Raoul es gesagt hat …“
Raoul musste sich das Lachen verkneifen, als Chris verärgert an ihm vorbeizog und Henrys Verfolgung aufnahm.
Lilly ließ die Wasserstrahlen langsam sinken, und noch bevor sie sich auf dem Fluss verteilen konnten, waren sie wieder gefroren. Sie hakte sich bei ihrer Schwester ein und gemeinsam folgten sie den anderen.
Wie erwartet war es in der Höhle sehr dunkel. Die Gefährten hatten sich auf alle Eventualitäten vorbereitet und somit auch Lauras Taschenlampe dabei. Laura wollte kein Feuer benutzen, da sie damit womöglich die schönen Eisskulpturen an den Höhlenwänden zerstört hätte. Zu ihrer Erleichterung war es nicht nötig, denn das Licht der Taschenlampe reichte völlig aus, um ihnen den Weg zu leuchten.
Der Boden war sehr rutschig, weshalb sie nur langsam vorankamen. Dennoch konnten sie schon nach kurzer Zeit vor sich ein bläuliches Licht erkennen. Der Ausgang war folglich nicht mehr weit entfernt.
Nervös nahm Laura die Hand ihrer Schwester. „Was denkst du wird uns da draußen erwarten?“
„Ich weiß es nicht. Aber ich habe ein gutes Gefühl.“ Lilly lächelte. „Ich glaube, dass die Stellarie uns helfen können.“
„Hm“, Laura runzelte leicht die Stirn, „wir werden sehen.“

Was sich vor ihnen bot, als die Freunde die Höhle verließen, übertraf all ihre Vorstellungskraft. Ihre Blicke richteten sich zuallererst nach oben.
Es war, als wären sie in einer Schneekugel gefangen. Eine riesige Kuppel aus Eis umschloss die gesamte Landschaft, so, als hätte sie jemand einfach darüber gestülpt. Man konnte weder hinein, noch hinaus. Nur das Licht der Sonne stahl sich durch die klare, beinahe durchsichtige Barriere, die offenbar als Schutz vor Eindringlingen diente.
„Warum haben wir die Kuppel von außerhalb nicht sehen können? Sie ist so hoch, da hätte sie uns doch eigentlich auffallen müssen“, wollte Laura erstaunt wissen.
„Das Reich der Stellarie wird durch einen Zauber geschützt. Von außen kann man es weder sehen, noch betreten. Mit einer Ausnahme: die Höhle, aus der wir gerade gekommen sind.“ Man konnte Henry deutlich anhören, dass er, obwohl er sich sehr gut über die Stellarie informiert hatte, auf diesen Anblick nicht gefasst war.
„Kommt, gehen wir weiter“, meinte er schließlich.
Die Gefährten begannen ihren Weg fortzusetzen. Ein Pfad führte sie geradewegs auf das Herzstück des Reiches zu, den Palast der Stellarie. Dabei kamen sie an Wiesen mit gefrorenen Blumen vorbei, die trotz der Frosthülle in allen Farben blühten. Eine Weile folgten sie einem Fluss, der unter seiner dicken Eisschicht ebenfalls voller Leben war.
Auch sonderbare Tiere kreuzten ihren Weg. Nell quiekte entzückt, als sich ein Schmetterling, der aussah als sei er aus Glas, auf ihre Nase setzte. Neugierig wie sie war, berührte sie ihn mit ihren blättrigen Fingern. Im selben Moment löste er sich auf. Zurück blieb eine Art weißer Rauch, der sich langsam von ihnen entfernte. Nachdem er etwas Abstand gewonnen hatte, bündelte sich der Rauch wieder, wurde erneut zum Schmetterling und flatterte davon. Es war eigenartig, dass sich die Tiere so fließend bewegen konnten, schließlich hätte das aufgrund ihrer eisähnlichen Beschaffenheit doch eigentlich gar nicht möglich sein dürfen. Um sich darüber den Kopf zu zerbrechen, fehlte den Gefährten jedoch die Zeit.
Nachdem sie ein kleines Waldstück durchquert hatten, erreichten die Freunde ihr eigentliches Ziel. Ein breiter Weg führte direkt zum Palast, der kein Palast im eigentlichen Sinne war. Das Bauwerk bestand  aus gigantischen Eiszapfen, die leicht schräg aus dem Boden wuchsen und sich zu einem kegelförmigen Gebilde vereinigten. Gläserne Treppen mit wunderschön gearbeiteten Geländern verbanden die eisigen Türme miteinander. An fast allen Flächen befanden sich filigrane Verzierungen, die dem Eispalast das Rohe nahmen und ihm stattdessen etwas Märchenhaftes verliehen.
Durch die reichlichen, filigranen Verzierungen, die man fand, wo immer man auch hinsah, verlor der Palast das Glatte und Ausladende, das ihm auf den ersten Blick anhaftete und zurück blieb ein unvergleichliches Bild.


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